ABSCHLUSSLECTURE

Freitag, 15. Juli 2022, 12:15 Uhr
Raum 00.212 (EG), Philosophicum II, Jakob-Welder-Weg 20


Von alten Präparaten, blinden Passagieren und toxischen Verbindungen. Wissens- umwelten der Naturkunde im 19. und 20. Jahrhundert

Dr. Mareike Vennen (Technische Universität Berlin)

Als Naturkundemuseen im 19. Jahrhundert damit begannen, Lebensräume von Tieren auszustellen und ökologische Zusammenhänge in Dioramen und Biologischen Gruppen zu zeigen, basierten diese ›Szenen aus dem Leben auf der Präparation toter Tiere. Naturkundliche Sammlungen sind aber nicht nur Orte der Aufbewahrung und Konservierung des Toten. Sie sind vielmehr selbst lebendige Umwelten, bewohnt von tausenden von Lebewesen, viele davon unerwünscht. Der Vortrag untersucht diese Sammlungsumgebungen als Orte sozialer Interaktion und Intervention zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Welches Wissen, welche Praktiken und Politiken gingen im 19. und frühen 20. Jahrhundert mit dem Erhalt von Sammlungen einher?
Anhand von historischen Beispielen aus dem Museum für Naturkunde Berlin fragt der Vortrag danach, wann und wo naturkundliche Sammlungen als Orte des »Befalls« beschrieben wurden; wie dadurch Ordnungen gestört wurden und was dadurch zum Vorschein kommt. Diese Fragen führen zugleich aus der Sammlung hinaus auf die Weltmeere, wo im Kontext von Kolonialismus und Imperialismus mit dem Ausbau globaler Infrastrukturen des Handels und der Schifffahrt zusammen mit den Importen immer mehr blinde Passagiere transportiert wurden. Das Vermächtnis dieser Zusammenhänge ist noch in der Gegenwart präsent, in der Frage, welche Auswirkungen frühere Techniken des Sammelns, Transportierens und Konservierens auf unseren gegenwärtigen und zukünftigen Umgang mit Sammlungen und ihren Objekten haben.

Dr. Mareike Vennen ist Kulturwissenschaftlerin und arbeitet derzeit an der TU Berlin im Verbundprojekt »Museums and Society – Mapping the Social«. Zuvor hat sie im Forschungsprojekt »Tiere als Objekte« an der Humboldt-Universität zu Berlin gearbeitet und war Teil des Projekts „Dinosaurier als Berlin“ der TU Berlin und des Museums für Naturkunde Berlin. Mareike Vennen forscht zu den materiellen und visuellen Kulturen des Sammelns, zu Logistiken der Naturkunde und den Politiken und Ökologien urbaner Räume. Ihre Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle von wissens-, umwelt- und stadthistorischen Perspektiven und konzentriert sich insbesondere auf die Kulturen der Amateurwissenschaft, die Kolonialgeschichte naturkundlicher Sammlungen und die Beziehungsgeschichte von Zoologischen Gärten und Museen.

Ausgewählte Publikationen: Das Aquarium. Praktiken, Techniken und Medien der Wissensproduktion (1840-1910), Göttingen: Wallstein 2018; »Der Grüne Komplex. Episoden zur Naturgeschichte der Stadt«, in: Kursbuch 197 (2019) S. 131-146; Dinosaurierfragmente. Zur Geschichte der Tendaguru-Expedition und ihrer Objekte, 1906–2017, Göttingen: Wallstein 2018 (zus. m. Ina Heumann, Holger Stoecker, Marco Tamborini).

 

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