Projektseminar im Masterstudiengang Medienkulturwissenschaft im SoSe 2021
unter Leitung von: Univ.-Prof. Dr. Gabriele Schabacher und Franziska Reichenbecher, M.A.
Das Gesicht ist keine anatomische Tatsache, sondern Gegenstand verschiedener Zurichtungen, in denen Fazialität jeweils konkret entworfen und mit spezifischen Bedeutungen versehen wird. Die zentrale Rolle des Gesichts in unserer dominant visuellen Gegenwartskultur erweist sich dabei als Produkt einer komplexen kultur- und mediengeschichtlichen Entwicklung, die bis zu den Steinmasken und Augenstelen vorchristlicher Kulturen zurückreicht und aktuell etwa mit Blick auf die Gesichtszentrierung sozialer Medien, aber auch von Überwachungstechnologien Fragen nach der medialen Verfasstheit, Lesbarkeit und Verwertung des Gesichts aufwirft.
Das vierstündige Projektseminar hat sich entlang von fünf thematischen Achsen dieser historischen »Gesichtsarbeit« (Belting 2013) gewidmet: Logiken des Abbildens von Gesichtern wurden mit Blick auf die Schematik des Gesichts als System ›weiße Wand/schwarzes Loch‹ (Deleuze/Guattari 1980) bzw. ›Punkt-Punkt-Komma-Strich‹ (Weigel 2017) sowie anhand des fazialen Genres des Porträts (Malerei, Fotografie) und der filmischen Großaufnahme reflektiert, insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Abstraktion und Ähnlichkeit. In verschiedenen Praktiken des Verdeckens von Gesichtern, etwa mittels Maske, Schleier und Vermummung, ließen sich Momente des Gesichtsentzugs als kulturspezifische Verhandlung von (Un)Sichtbarkeit, Identität und Handlungsmacht nachvollziehen. Hinsichtlich des Erkennens von Gesichtern wurde der Einsatz des Gesichts als Identifikationsmittel in der Physiognomie des 19. Jahrhunderts (Bertillon 1885) sowie im Kontext zeitgenössischer biometrischer Verfahren (digitale Gesichtserkennung) problematisiert. Korrespondierend zur Konstruktion von Gesichtern wurden ebenso Praktiken des Zerstörens von Gesichtern berücksichtigt, die symbolische und physische Gesichtsverluste (z.B. Schandbilder der Frühen Neuzeit, polizeiliche Fotografie und Zielscheiben) und Entstellungen (Karikatur, populärkulturelles und künstlerisches Defacing) hervorbringen. Als Beispiele fazialer Affekte und Effekte wurde die Lesbarkeit von Mimik in mittelalterlichen Ausdrucksregimen und in Codierungssystemen des 20. Jahrhunderts (Ekman, FACS) gegenübergestellt und anhand von Morphing und Werbegesichtern technologische und ökonomische Logiken der Arbeit an und mit Gesichtern verhandelt.
Aus der theoretisch-konzeptuellen und an konkreten historischen Fallbeispielen orientierten Auseinandersetzung mit den ästhetischen, technischen, sozio-kulturellen und wissenschaftlichen Bedingungen des Gesichts sind individuelle Forschungsprojekte der Studierenden zu verschiedenen Paradigmen und Problemen des Gesichts hervorgegangen. Ein Bestandteil der umfangreichen Projektarbeiten war die Entwicklung eines Online-Beitrags. Die Studierenden haben diese gegenstandsbezogenen Beiträge, die das Gesicht in einem breiten Spektrum medienkulturwissenschaftlicher Perspektiven beleuchten, in einem mehrstufigen Redaktionsprozess erstellt. Über die Erarbeitung und Reflexion inhaltlicher Positionen und Theorien hinaus konnten sie hierbei einschlägige methodische Kompetenzen mit Blick auf kollaborative Redaktionsarbeit und gestalterische Aufgaben gewinnen, die für diverse Berufsfelder relevant sind.
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